Ich gebe zu, ich musste schon ein klein wenig zynisch grinsen, als ich die ersten Sätze dieses Artikels las:
09.11.2010
Türkei
Präsident gegen Kopftücher für Grundschülerinnen
http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/0,1518,728194,00.html
Ja, nun geht es selbst der kopftuchtragenden türkischen Präsidenten-Gattin Gül zu weit, wenn noch strengere religiöse Kräfte in der Türkei sich für das Kopftuchtragen für kleine, süsse Grundschulmädchen einsetzen. Wer hätte das nur gedacht? Nun, wohl einige. Und zwar jene, die sich mit den Mechanismen des Islams und dessen treuen Dienern auskennen. Es war/ist geradezu logisch, dass das Aufheben des Kopftuchverbots an den Unis bei selbigen auf keinen Fall Stop machen würde. Die Türkei ist seit geraumer Zeit dabei, die gerade erst seit relativ kurzer Zeit der Liberalisierung mit Volldampf in den Rückwärtsgang zu bewegen. Mein letzter Artikel hat da schon Böses ahnen lassen. Man mag das gerne auf die islamistischen Politiker in der Türkei schieben, ich sehe diese aber nur als logische Konsequens der Haltung des türkischen Volkes.
1. Wenn die Frau des Präsidenten öffentlich ein Kopftuch trägt und somit das Kopftuch aus der Politik heraus wieder salonfähig macht, dann trägt Frau Gül eine enorme Verantwortung für genau jene Richtung, die ihr jetzt offensichtlich zu weit geht.
2. Jedoch trägt jedes Individuum seinen Teil der Verantwortung. Wenn also, wie mir von mehreren Seiten berichtet wurde, auf einmal türkische Frauen dieses nachmachen und von heute auf morgen plötzlich mit Kopftuch bei ihren Freundinnen erscheinen, obwohl sie zuvor nie eines getragen haben, dann ist das klar ein Zeichen des Schaf-Verhaltens (Berichte von Augenzeugen).
3. Säkulare und religiöse Krafte und Individuen streiten nach Berichten um die weitere Islamisierung der Türkei, u. a. eben auch um das Kopftuchtragen von kleinen Mädchen. Daraus mag man schliessen, dass es in der Türkei sehr wohl gebildete und liberale Menschen gibt. Natürlich tut es das. Das Problem allerdings: Wieviel Prozent machen sie in Wahrheit aus? Realistisch gesehen dürfen wir ruhig von einer absoluten Minderheit ausgehen.
4. Das Grundproblem sehe ich allerdings weniger bei den Politikern selbst als beim Grossteil des Volkes. Denn vergessen wir nicht, dass selbst die Kritik zum Kopftuch-Tragen eines Mädchens noch lange nicht bedeutet, dass sich selbige kritisch mit Islam und ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt haben. Das haben zwar die allermeisten der streng Religiösen auch nicht, aber die brauchen das auch nicht nach ihrer Lebenseinstellung. Denn sie wollen nichts anderes als eben diese Religion (egal, ob unsereins es nun für gut oder schlecht hält). Ich sehe da eher die Verfehlung in der wirklich gebildeten Schicht, die nicht religiös indoktriniert ist. Sie mögen zwar nicht unbedingt islamisch sein oder sich islamisch geben. Aber was ich bisher nur beobachten konnte, dass ein Grossteil dieser liberalen Türken zu sehr mit sich selbst und ihrem Leben beschäftigt war/ist als diese Entwicklung zu sehen und besonders dagegenzusteuern. (Mir ist bewusst, dass ein kleiner Teil in der Türkei dagegen ankämpft, aber dieser kleine Teil ist eben ein Witz, wenn man auf der anderen Seite die Gefahren von Islam beachtet).
5. Die liberalen Türken, die auch mit Islam nichts am Hut haben, haben sich da offensichtlich sehr bequem auf das türkische Militär verlassen, die „schon dafür sorgen werden, dass die Türkei nicht völlig islamisiert wird“. Nun ja, mag ja für die Vergangenheit so gewesen sein, aber wie lange noch? Denn eines ist mal klar: mit der Wiederwahl von Erdogan, dem Ziehsohn eines der grössten faschistischen türkischen Antisemiten und Islamisten, Necmettin Erbakan, sollte wohl mehr als klar gewesen sein, in welche Richtung Erdogan und Konsorten tendieren würden. Aber die Mehrheit der Türken hat es offensichtlich so gewollt (DAS ist eben der Unterschied zwischen der Wahl für einen Islmisten in der Türkei und des Theaterstückes namens „Wahl“ im Iran!).
6. Die Türkei als mehrheitlich islamisch geprägtes Land stand schon immer in der Gefahr, durch und durch islamisiert zu werden. Nicht zuletzt die Haltung Erdogans gegenüber Ahmadinejad und dessen Bande hatte dies mehr als deutlich hervorgehoben. Von welchem Volk aber hat man das grösste Schweigen gehört? Richtig, von den Türken! Es hat sie nie interessiert, was Islamisten mit dem iranischen Volk angestellt haben. Es war ihnen schlichtweg egal. Keine Demo, keine freundschaftliche Anfrage, keine Reaktionen, gar nichts. Diese arrogante und ignorante Haltung sämtlicher Türken schlägt nun gegen sie selbst zurück. Denn mit „na dann verkaufe ich eben meine Wohnung/mein Haus und mache woanders Urlaub“ ist es längst nicht getan. Die liberalen und offenen Türken, jene, die nicht viel anders denken als unsereins, haben bisher offen versagt. Sie wollen zwar genauso wie du und ich ihre Ruhe, ihre Freiheit, ihr individuelles Leben, sind aber zu bequem geworden, darum zu kämpfen. Dieses Versagen vieler Türken sehe ich (besonders für sie selbst) als besonders schlimm an. Sie hätten gerade durch uns Iraner vieles lernen müssen aus der Geschichte, aber besonders auch aus unserer Gegenwart. Sie hätten die Parallelen erkennen müssen, wie schnell ein Volk auf islamischen Irrglauben und aus Ignoranz auf islamische Diktatoren hereinfallen konnte. Aber wie es eben ist mit Völkern, die so viel ungebildete Menschen mit sich bringen, und die, die gebildet sind, von so viel Ignoranz geprägt sind, haben ausgerechnet jene Türken den Iranern den Rücken zugedreht und so getan, als ginge es sie absolut nichts an. Und heute? Heute streiten sie sich um das, was unumgänglich ist. Wie weit der Kopftuch-Streit ausarten sollte. Und mit dem Kopftuch sämtliche islamische Regeln. Die Mehrheit der Türken hat NICHTS aus der Geschichte Irans gelernt. Gerade die Liberalen hätten unsere stärksten Verbündeten sein müssen. Aber sie alle haben geschwiegen. Weil es ihnen einfach egal war. Und heute? Heute erzählen mir Türken: „Unglaublich, welch angeblich moderne Türken und Türkinnen sich für Erdogan aussprechen.“ oder eben „dann verkaufe ich eben mein Hab und Gut in der Türkei“. Ja, sie haben ihren gemütlichen Urlaub in der billigen Türkei verbracht und müssen sich heute von Iranern über die Entwicklungen ihres eigenen Landes belehren lassen. Weil sie arroganterweise dachten: Die Freiheit sei umsonst! Hätten sie doch nur ein klein wenig von dem Schicksal der Iraner gelernt – und vor allem: hätten sie nur eine kleine Regung für die iranische Opposition gezeigt, ich selbst hätte als Iranerin den liberalen und fortschrittlichen Türken jede Unterstützung geboten. Nun stehen sie davor, mit ansehen zu müssen, wie ihre geliebte alte Heimat immer mehr in Richtung Islamische Republik Iran tendiert.
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